Diese von Wagner gezeichnete und von der hellwingschen
Hofbuchhandlung herausgegebene Karte der Königlichen Residenzstadt
Hannover und ihrer Umgebung "auf vier Quadratmeilen" im Maßstab
1:30 000 ist undatiert, muß aber zwischen 1820 und 1824 entstanden
sein, da das Gut Wülfel seit 1820 der Witwe des Generals Adolf
August Wilhelm von Oldershausen und das Gut Wettbergen bis
1824 dem Kammerherrn August Albert von Uslar gehörten. Die
Karte vermittelt uns ein sehr genaues Bild vom Umfeld unserer
Stadt bis Ronnenberg, Laatzen, Wülferode, Bothfeld, Stöcken
und Benthe, ein Gebiet, das nur wenig über die Grenzen unserer
niedersächsischen Landeshauptstadt seit 1974 hinausgeht, während
der heutige Stadtbezirk Misburg mit Anderten noch außerhalb
des östlichen Kartenrands liegt. Alt- und Neustadt Hannover
bilden den Mittelpunkt im Ring ihrer seit wenigen Jahrzehnten
aufgegebenen, aber noch nicht abgetragenen. Festungswerke,
wie sie uns auch der nahezu gleichzeitige, ebenfalls von Wagner
gestochene und mit gleicher Randleiste verzierte Stadtplan
von 1822 zeigt. Vom Norden bis zum Südosten ziehen sich die
Gärten der Bürger und der "Gartenleute" um die Altstadt herum,
eingefaßt vom breiten Grünstreifen der Eilenriede zwischen
Lister und Döhrener Turm. Nach Nordwesten führt die Herrenhäuser
Allee schnurgerade zum Sommersitz der noch bis 1837 in London
residierenden Welfenkönige mit dem Rechteck des Großen Gartens.
Von großzügigen Gartenanlagen des Barock wird auch das Bauerndorf
Linden westlich der Ihme eingefaßt, wo Kalkgrube und Ziegelei
die frühe Industrialisierung der Egestorff-Epoche anzeigen.
Wie mit dem Lineal gezogen, streben auch die
Landstraßen ihren stundenweit entfernten Zielen Hildesheim, Celle,
Langenhagen, Nienburg, Rehburg, Nenndorf, Hameln oder Göttingen zu,
Neben vielen Wäldern bestimmen Felder, Heide und Moor das Landschaftsbild,
aber Benther Berg, Mönckeberg, Lindener Berg und Kronsberg sind bereits
Vorboten der Mittelgebirgsschwelle vom Deister bis zum Hildeshelmer
Wald. Zwischen den weit auseinanderliegenden Dörfern ist noch viel
Platz für die l,Zersiedelung" der Landschaft, wird doch die wachsende
Residenzstadt ein Halbjahrhundert später die Zahl von 100 000 Einwohnern
erreichen. Nach der Vereinigung von Alt- und Neustadt im Jahre 1824
und der Eingemeindung der Vorstadt 1859, der beiden Gartengemeinden
vor Steintor und Aegidientor, und von Ohe und Glocksee 1870 wurden
1891 die vier Dörfer Herrenhausen, Hainholz, Vahrenwald und List "geschluckt",
denen 1907 der "große Ring" von Stöcken über Bothfeld und Kirchrode
bis Wülfel folgte. 1920 aber vereinigte man die Städte Linden, das
bereits vom Limmer über Badenstedt bis Ricklingen reichte, und Hannover,
und die Gebletsreform von 1974 brachte noch einmal einen Zuwachs von
Vinnhorst im Norden über Ahlem, im Westen bis Wettbergen und Wülferode
im Süden und Misburg im Osten. Viele der auf dieser Karte zu lesenden
Flur- oder Waldbezeichnungen aber blieben uns in den Straßennamen der
niedersächsischen Landeshauptstadt erhalten, die es trotz ihrer halben
Million Einwohner immer noch verstanden hat, eine "Großstadt im Grünen" zu
bleiben. Das Waldgeblet der Eilenriede im Osten, die breite Leineaue
im Süden -heute mit der blauen Fläche des Maschsees - und die Fortsetzung
des Leineurstromtals nach Nordwesten mit den Herrenhäuser Königsgärten
sind wegen ihres unsicheren Baugrunds und der Überschwemmungsgefahr,
aber auch in bewußter Landschaftspflege, selbst nach eineinhalb Jahrhunderten
noch wenig eingeengt von moderner Wohn- und Industriebebauung. Mögen
sie auch in einer umweltbewußteren Zukunft erhalten bleiben als "grüne
Lungen" eines dichtbesiedelten Ballungsraums, den sich der Kartenzeichner
Wagner um 1825 gewiß noch nicht vorstellen konnte.
Helmut Zimmermann
EH8 Hannover-Archiv Ergänzungs Edition Band I
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